Der Iron-60-Enigma: Das Decodieren kosmischer Explosionen auf der Erde
Die Erde trägt die Narben nahegelegener Supernovae durch Spuren einzigartiger Isotope wie Eisen-60 und Plutonium-244, die in Sedimenten und Mondproben gefunden wurden. Diese kosmischen Überreste, die mit fortschrittlichen Methoden wie der Beschleunigermassenspektrometrie nachgewiesen werden, enthüllen eine Geschichte massiver stellarer Explosionen in unserer kosmischen Nachbarschaft.
Wenn große Sterne oder Himmelskörper in der Nähe der Erde explodieren, können ihre Trümmer unser Sonnensystem erreichen. Beweise für diese kosmischen Ereignisse finden sich auf der Erde und dem Mond und lassen sich durch die Beschleunigermassenspektrometrie (AMS) nachweisen. Eine Übersicht über diese aufregende Forschung wurde kürzlich im wissenschaftlichen Journal Annual Review of Nuclear and Particle Science von Prof. Anton Wallner vom Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR) veröffentlicht, der diese vielversprechende Forschungsrichtung mit der neuen, ultrasensitiven AMS-Anlage „HAMSTER“ entscheidend vorantreiben möchte.
In ihrem Artikel geben der HZDR-Physiker Anton Wallner und sein Kollege Prof. Brian D. Fields von der University of Illinois in Urbana, USA, einen Überblick über kosmische Explosionen in der Nähe der Erde mit besonderem Schwerpunkt auf Ereignisse vor drei bzw. sieben Millionen Jahren.
"Glücklicherweise waren diese Ereignisse noch weit genug entfernt, so dass sie vermutlich keinen signifikanten Einfluss auf das Klima der Erde hatten oder große Auswirkungen auf die Biosphäre hatten. Doch wenn kosmische Explosionen in einer Entfernung von 30 Lichtjahren oder weniger stattfinden, wird es wirklich ungemütlich", erklärt Wallner. In die astrophysikalische Einheit Parsec umgerechnet entspricht dies weniger als acht bis zehn Parsec.
Wenn massive Sterne ihren gesamten Brennstoff aufgebraucht haben, kollabieren ihre Kerne zu einem ultradichten Neutronenstern oder einem schwarzen Loch, während gleichzeitig heißes Gas mit hoher Geschwindigkeit nach außen geschleudert wird. Ein großer Teil des zwischen den Sternen fein verteilten Gases und Staubs wird von einer expandierenden Schockwelle mitgetragen. Wie ein riesiger Ballon mit Beulen und Dellen fegt dieser Umschlag auch jedes bereits im Weltraum vorhandene Material auf. Nach vielen tausend Jahren haben sich die Überreste einer Supernova auf einen Durchmesser mehrerer 10 Parsec ausgedehnt, breiten sich immer langsamer aus und hören schließlich auf sich zu bewegen.
Messungen mit der Beschleunigermassenspektrometrie (AMS) an dieser Ferromangan-Kruste aus dem Pazifischen Ozean haben interstellares Eisen-60, Mangan-53 und Plutonium-244 enthüllt. Darunter sind Atome, die mehr als 20 Millionen Jahre zurückdatieren. Die Münze als Maßstab hat einen Durchmesser von 3,2 cm. Credit: HZDR
Eine Explosion in der Nähe hat das Potenzial, die Biosphäre der Erde schwer zu stören und eine Massenauslöschung ähnlich dem Asteroideneinschlag vor 66 Millionen Jahren zu verursachen. Die Dinosaurier und viele andere Tierarten fielen diesem Ereignis zum Opfer. "Wenn wir den Zeitraum seit der Entstehung des Sonnensystems betrachten, der Milliarden von Jahren umfasst, können sehr nahe kosmische Explosionen nicht ausgeschlossen werden", betont Wallner.
Dennoch treten Supernovae nur in sehr massereichen Sternen mit mehr als achtfacher bis zehnfacher Masse unserer Sonne auf. Solche Sterne sind selten. Einer der nächstgelegenen Kandidaten dieser Größe ist der rote Überriesen Betelgeuse im Sternbild Orion, der sich in einer sicheren Entfernung von etwa 150 Parsec von unserem Sonnensystem befindet.
Während kosmischer Explosionen oder kurz vor bzw. während der Supernova entstehen viele neue Atome - darunter auch eine Reihe radioaktiver Atome. Besonderes Interesse hat Wallner am radioaktiven Eisenisotop mit einer Atommasse von 60. Etwa die Hälfte dieser Isotope, kurz Eisen-60 genannt, verwandeln sich nach 2,6 Millionen Jahren in ein stabiles Nickelisotop. Daher ist das gesamte Eisen-60, das vor der Bildung der Erde vor etwa 4,5 Milliarden Jahren vorhanden war, längst verschwunden.
"Eisen-60 ist auf der Erde extrem selten, denn auf natürliche Weise wird es nicht in nennenswerter Menge produziert. Es entsteht jedoch in großen Mengen kurz vor einer Supernova. Wenn dieses Isotop jetzt in Sedimenten vom Meeresboden oder in Material von der Oberfläche des Mondes auftaucht, stammt es wahrscheinlich von einer Supernova oder einem ähnlichen Prozess im Weltraum, der vor nur wenigen Millionen Jahren in der Nähe der Erde stattgefunden hat", fasst Wallner zusammen.
Der HZDR-Physiker Prof. Anton Wallner ist ein Spezialist für die Suche nach interstellarem Material mit Hilfe der Beschleunigermassenspektrometrie (AMS). Wallner und seine Kollegen in Australien sind derzeit auf der Suche nach weiteren kosmischen Isotopen - in Canberra sucht er nach Fe-60-Atomen, in Sydney nach PU-244-Atomen. Zu diesem Zweck hat er eine Reihe von Mondproben von der US-Raumfahrtbehörde NASA erhalten. Credit: ANU
Das Gleiche gilt für das Plutonium-Isotop mit einer atomaren Masse von 244. Dieses Plutonium-244 wird jedoch wahrscheinlicher durch die Kollision von Neutronensternen als durch Supernovae erzeugt. Es ist daher ein Indikator für die Nukleosynthese schwerer Elemente.
Nach einer Zeit von 80 Millionen Jahren hat sich etwa die Hälfte des Plutonium-244-Isotops in andere Elemente umgewandelt. Daher ist das langsam zerfallende Plutonium-244 neben Eisen-60 ein weiterer Indikator für galaktische Ereignisse und die Produktion neuer Elemente in den letzten Millionen Jahren.
"Auch wie oft, wo und unter welchen Bedingungen diese schweren Elemente produziert werden, ist derzeit Gegenstand intensiver wissenschaftlicher Debatten. Plutonium-244 erfordert ebenfalls explosive Ereignisse und wird nach Theorie ähnlich produziert wie die Elemente Gold oder Platin, die auf der Erde zwar immer natürlich vorkamen, aber heute aus stabilen Atomen bestehen", erklärt Wallner.
Aber wie gelangen diese Isotope überhaupt auf die Erde? Die Eisen-60-Atome, die von der Supernova ausgestoßen werden, setzen sich gerne in Staubpartikeln ab. Das gilt auch für die Plutonium-244-Isotope, die möglicherweise bei anderen Ereignissen entstanden sind und von der expandierenden Hülle der Supernova aufgenommen wurden.
Nach kosmischen Explosionen in einer Entfernung von mehr als zehn, aber weniger als 150 Parsecs verhindern laut Theorie der Sonnenwind und das Magnetfeld der Heliosphäre, dass einzelne Atome die Erde erreichen. Die in Staubpartikeln gefangenen Eisen-60- und Plutonium-244-Atome fliegen jedoch weiterhin zur Erde und zum Mond, wo sie schließlich an der Oberfläche herunterrieseln können. Selbst bei einer Supernova, die innerhalb des sogenannten "Tötungsradius" von weniger als zehn Parsecs stattfindet, landet nicht einmal ein Mikrogramm Materie aus der Hülle auf jedem Quadratzentimeter. Tatsächlich erreichen nur sehr wenige Eisen-60-Atome pro Quadratzentimeter die Erde pro Jahr.
Das stellt eine enorme Herausforderung für "Ermittler" wie den Physiker Anton Wallner dar: Innerhalb einer ein Gramm schweren Sedimentprobe sind wahrscheinlich nur einige tausend Eisen-60-Atome wie Nadeln im Heuhaufen unter Milliarden von Milliarden allgegenwärtigen und stabilen Eisenatomen mit einer atomaren Masse von 56 verteilt. Darüber hinaus kann selbst die empfindlichste Messmethode maximal jedes fünftausendste Teilchen, also nur ein paar Eisen-60-Atome in einer typischen Messprobe, nachweisen.
Solch extrem niedrige Konzentrationen können nur mit Accelerator Mass Spectrometry, kurz AMS, bestimmt werden. Eine dieser Anlagen, die Dresden AMS (DREAMS), befindet sich am HZDR und wird bald von der Helmholtz Accelerator Mass Spectrometer Tracing Environmental Radionuclides (HAMSTER) ergänzt.
Da AMS-Anlagen auf der ganzen Welt unterschiedlich konzipiert sind, können sich die verschiedenen Anlagen bei der Suche nach seltenen Isotopen aus Supernova-Explosionen ergänzen. Isotope des gleichen Elements, aber mit unterschiedlicher Masse, wie das natürlich vorkommende Eisen-56, werden mit Massenfiltern entfernt. Atome anderer Elemente mit der gleichen Masse wie das Zielobjekt Eisen-60, zum Beispiel das natürlich vorkommende Nickel-60, stören ebenfalls.
Selbst nach sehr komplexer chemischer Aufbereitung der Proben sind sie immer noch Milliardenfach häufiger als Eisen-60 und müssen in einer speziellen Beschleunigeranlage mit Methoden der Kernphysik getrennt werden.
Letztendlich werden vielleicht fünf einzelne Eisen-60-Atome in einem mehrere Stunden dauernden Messvorgang identifiziert. Pionierarbeit bei der Eisen-60-Detektion wurde an der TU München geleistet. Derzeit ist jedoch nur Canberra an der Australian National University die weltweit einzige vorhandene Einrichtung, die empfindlich genug ist, um solche Messungen durchzuführen. Insgesamt wurden in den letzten 20 Jahren nur etwa eintausend Eisen-60-Atome gemessen.
Für das interstellare Plutonium-244, das in Konzentrationen mehr als 10.000 Mal niedriger vorkommt, standen lange Zeit nur Daten für einzelne Atome zur Verfügung. Erst kürzlich war es möglich, etwa hundert Plutonium-244-Atome an einer spezialisierten Infrastruktur in Sydney zu bestimmen - ähnlich wie die derzeit in Entwicklung befindliche HAMSTER-Anlage am HZDR.
Allerdings eignen sich nur bestimmte Proben zur Untersuchung, die als Archive dienen, um diese Atome aus dem Weltraum über Millionen von Jahren zu konservieren. Proben von der Erdoberfläche werden beispielsweise durch geologische Prozesse schnell "verdünnt". Sedimente und Krusten aus der Tiefsee, die sich langsam ungestört auf dem Meeresboden bilden, sind ideal. Alternativ eignen sich Proben von der Oberfläche des Mondes, da störende Prozesse kaum ein Problem darstellen.
Auf einer Forschungsreise bis Anfang November 2023 werden Wallner und seine Kollegen nach weiteren kosmischen Isotopen an besonders geeigneten AMS-Einrichtungen in den australischen Städten Canberra (Eisen-60) und Sydney (Plutonium-244) suchen. Dafür hat er eine Reihe von Mondproben von der US-amerikanischen Raumfahrtbehörde NASA erhalten.
“Parallel measurements are also taking place at HZDR. These unique samples will allow us to gain new insights into supernova explosions near Earth, but also into the heaviest elements in our galaxy which are formed through these and other processes,” Wallner is certain.