Entschlüsselung des Klimacodes: Wissenschaftler entdecken Hinweise von vor 380 Millionen Jahren

29 Juli 2024 2216
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Durchlässiger Dolomitfels mit Hohlräumen, die ideal für die geothermische Nutzung wären. Bild: RUB, Marquard

Fluide, die unterirdisch zirkulieren, verändern im Laufe der Zeit allmählich Gesteine. Diese Prozesse müssen berücksichtigt werden, wenn Gesteine als Klimaarchive verwendet werden. Dr. Mathias Müller von der Forschungsgruppe Sediment- und Isotopengeologie an der Ruhr-Universität Bochum hat zusammen mit internationalen Kollegen detailliert dargestellt, welche Klimainformationen in 380 Millionen Jahre alten Kalksteinen aus Hagen-Hohenlimburg erhalten geblieben sind.

Des Weiteren erlauben seine Analysen ihm Rückschlüsse darauf zu ziehen, wie geeignet der Fels heute für die tiefe geothermische Nutzung ist. Die Ergebnisse seiner Forschung wurden am 1. Juli 2024 im Journal Geochimica et Cosmochimica Acta veröffentlicht.

Blick auf eine Seite des Steinbruchs Steltenberg: Die unterschiedlich farbigen Gesteine sind Produkte diagenetischer Prozesse unterirdisch, die den ursprünglichen Kalkstein verändert haben. Bild: RUB, Marquard

Um ein besseres Verständnis des heutigen Klimas zu erlangen, kann es hilfreich sein, in die Vergangenheit zu schauen. Forscher verwenden hierfür sogenannte Proxies: indirekte Indikatoren des Klimas in natürlichen Archiven wie Eiskerne, Baumringe oder Tropfsteine. „Wenn wir etwas über das Klima vor mehreren Millionen oder sogar Milliarden Jahren erfahren wollen, untersuchen wir sedimentäre Gesteine, die sogar die Meerestemperatur von vor Hunderten Millionen Jahren gespeichert haben könnten“, erklärt Mathias Müller.

Fossilien von Korallen und Brachiopoden im grauen Massenkalkstein, die entlang einer vertikalen Spalte teilweise diagenetisch in hellbraunen Dolomitfels umgewandelt wurden. Bild: Mathias Müller

Ein Dinge, das diese Art von weitreichender Klimaforschung erheblich schwieriger machen kann, ist die nachträgliche Veränderung der im Gestein gespeicherten Klimazeichen. Dieser Prozess wird Diagenese genannt. Er beginnt kurz nach der Ablagerung von Sedimenten im Meerwasser und kann bis heute fortbestehen. „Sehr alte Gesteine werden normalerweise in Tiefen von mehreren Kilometern begraben“, sagt Mathias Müller. „Änderungen in den Klimainformationen werden dann durch heiße Fluide verursacht, die in der Tiefe zirkulieren.“ Dort, wo sie das Gestein durchdringen können, führen sie oft zu Rekristallisierung oder neuem Mineralwachstum im Gestein. Außerdem werden Gesteine, die aus der Tiefe an die Erdoberfläche gelangen, vom Wetter beeinflusst. Diese sogenannte meteorische Diagenese kann ebenfalls alte Klimainformationen beeinträchtigen oder sie vollständig unbrauchbar machen.

Gemeinsam mit einem internationalen Forschungsteam hat Mathias Müller detailliert rekonstruiert, welche Klimainformationen aus dem Flachmeer während der Devon-Zeit noch im Gestein in der Region Hagen-Hohenlimburg gespeichert sind und durch welche Prozesse und unter welchen Bedingungen sie seitdem verändert wurden. Die Forscher analysierten zahlreiche systematisch gesammelte Gesteinsproben aus dem Steinbruch Steltenberg mit petrographischen und geochemischen Methoden.

„Wir waren überrascht, dass die Veränderungen im Gestein es uns ermöglichten, eine Vielzahl bedeutender geologischer Ereignisse zu identifizieren, wie beispielsweise die Öffnung des Nordatlantiks im Jura und den Beginn der Faltung und anschließenden Hebung der Alpen Hunderte von Kilometern entfernt seit dem späten Kreidezeitalter“, führt Mathias Müller auf. Er betrachtet die radiometrische Uran-Blei-Datierung als Schlüssel zur chronologischen Einordnung der sogenannten Überprägungsereignisse, die im Gestein gespeichert sind. „Während unserer Forschung haben wir besonders erfreut festgestellt, dass Klimainformationen aus der Devon-Zeit selbst in stark überprägten Gesteinen noch gefunden werden können“, betont der Forscher.

Mathias Müller analysiert die Veränderungen, die Gesteine über Millionen von Jahren durchgemacht haben. Bild: RUB, Marquard

Die Ergebnisse der Studie sind auch von Interesse für die Ausbeutung von Gesteinen für die tiefe geothermische Energie, die ein Beitrag zur Energiewende sein könnte. Die Vorhersage, welche Bedingungen in welchen Bereichen des Untergrunds angetroffen werden, war bisher eine große Herausforderung für Forscher. „Besonders in Karbonatgesteinen kann eine diagenetische Überprägung zu Ausfällungs- und Lösungsphänomenen im Gestein führen, die sich dramatisch auf die potenzielle Machbarkeit von Geothermie auswirken können“, sagt Mathias Müller.

Die Ergebnisse der aktuellen Studie ermöglichen vorläufig optimistische Schlussfolgerungen, dass einige der charakterisierten Prozesse in der tieferen Unterfläche die Nutzbarkeit von geothermischer Energie erhöht haben könnten. Gemeinsam mit Forschern des Fraunhofer-Forschungsinstituts für Energieinfrastrukturen und Geothermie IEG und dem Geologischen Dienst Nordrhein-Westfalen versucht Mathias Müller derzeit herauszufinden, welche Auswirkungen die Ergebnisse von der Erdoberfläche auf die Anwendbarkeit von Geothermie in der Tiefe haben.


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